Beim ersten Blick auf die Oris ProPilot X Calibre 400 sieht man eine „einfache“ Dreizeigeruhr mit Datumsanzeige. Weitere Funktionen gibt es nicht, keine Besonderheiten am Gehäuse wie eine drehbare Lünette oder einen Keramikeinsatz und die Farbgebung des Zifferblatts ist lediglich weiß auf blau ohne Appliken. Doch irgendetwas an dieser Uhr regt den Uhrenliebhaber an, spricht seine Sinne an und lässt ihn ahnen, dass sich ein zweiter Blick durchaus lohnen könnte.
Beim zweiten Blick auf diese neue ProPilot X Calibre 400, unsere Testuhr, offenbart sich eine einzigartige Designsprache bestehend aus individuell gestalteten Zeigern, die über einen genarbten Untergrund streichen, einer Lünette mit schräger Riffelung und einem eckigen Armband, das aus dem Gehäuse wächst. Die große Krone ist verjüngt, um die diagonale Riffelung der Lünette aufzunehmen, während der Kronenschutz ebenso eckig ist wie die Armbandösen read more.
All diese Details resultieren aus einem klaren Designansatz, der Individualität und Detailreichtum in den Vordergrund stellt. Dieses Prinzip wird beim Armband fortgeführt: Das dreireihige Metallarmband besteht aus geraden Innengliedern und schrägen Außengliedern. Es verjüngt sich allmählich und wird dann wieder breiter, wenn es sich der einzigartig geformten Faltschließe nähert. Gehäuse und Armband sind aus Titan gefertigt, was sowohl technische als auch gestalterische Vorteile bietet, da dieses Metall deutlich leichter als Edelstahl ist und zudem einen dunkleren, wärmeren Farbton bietet.
Das Armband- und Gehäusedesign mag bekannt sein, da eine ProPilot X bereits seit einigen Jahren zum Produktportfolio von Oris gehört. Doch hier entfaltet sich eine völlig andere optische Wirkung, denn der Vorgänger ist eine skelettierte Uhr mit sichtbarem 10-Tage-Werk, kleiner Sekunde und der von Oris patentierten nichtlinearen Gangreserveanzeige. Der technische Charakter ist bei der neuen ProPilot X Calibre 400 deutlich reduziert, denn die Designer von Oris wollten kein „Talking Piece“ mit offenem Uhrwerk und Sonderfunktionen bauen, sondern eine zuverlässige Uhr für den alltäglichen Gebrauch.
Obwohl das Zifferblatt geschlossen ist, sorgt die spezielle Körnung seiner Oberfläche für eine sehr markante Optik. Und hier finden wir eine weitere Besonderheit dieses Modells: Die raue Textur des Zifferblatts sieht nicht nur gut aus, sie verhindert auch grelle Reflexionen des einfallenden Lichts. In dieser Hinsicht folgt die ProPilot X Calibre 400 den Vorbildern, nämlich den hochfunktionellen und gut ablesbaren Fliegeruhren von Oris, die bei der Marke eine lange Tradition haben. Bereits 1910 stellte Oris seine erste Taschenuhr für Piloten vor. 1917 folgte eine zur Armbanduhr umgebaute Taschenuhr. Die erste Armbanduhr mit „Big Crown“ wurde 1938 vorgestellt.
Matte Oberflächen prägen das gesamte Erscheinungsbild der ProPilot. Wie das Zifferblatt vermeiden auch Gehäuse und Armband glänzende Flächen, die einfallendes Licht reflektieren könnten. Dies trägt zu einer hervorragenden Lesbarkeit bei Tag bei, die durch die gut gewählten Längen der Zeiger noch verstärkt wird. Leuchtmasse auf den großen Zeigern leuchtet nachts hell, während die kurzen Enden der Stundenindexe weniger hell leuchten, aber dennoch ein ausreichend klares Gesamtbild erzeugen.
Das Einstellen von Uhrzeit und Datum sowie das Öffnen und Schließen der hochwertigen Schließe ließen sich bei unserer Testuhr problemlos bewerkstelligen. Uhrzeit und Datum lassen sich über die große, griffige, verschraubte Krone verstellen, die Bedienung des Armbandes erfolgt mit Hilfe des von Oris patentierten „Lift“-Systems: Einfach den äußeren Bügel wie die Schnalle eines Flugzeuggurtes nach oben ziehen, und schon öffnet sich die stabile Faltschließe komfortabel. Dabei muss man nicht einmal den Fingernagel verwenden, denn der Rand ist leicht nach oben gewölbt und bietet der Fingerkuppe genügend Angriffsfläche zum Greifen. Dennoch öffnet sie sich im Alltagsgebrauch nie ungewollt.
Die Glieder des Armbands werden von stabilen Schraubstiften zusammengehalten, die man zum Kürzen des Bandes lediglich an einer Seite mit einem Schraubendreher öffnen muss. Diese hochwertige und komfortable Lösung sollte eigentlich Standard in der Uhrenbranche sein und wir fragen uns, warum sie nicht einfache Splintstifte ersetzt.
Das Armband der ProPilot X schmiegt sich dank der flexiblen Gliederkonstruktion angenehm um das Handgelenk. Und das Gehäuse mit 39 mm Durchmesser und 11,8 mm Höhe fühlt sich nie kopflastig an. Insgesamt sind die Maße dieses Modells ideal für Personen mit schmalen bis mittelgroßen Handgelenken. Auch die Verwendung des leichten Titans spielt in puncto Tragekomfort eine wichtige Rolle. Nach dem Kürzen des Armbands haben wir unsere Testuhr gewogen und festgestellt, dass sie nur 93 Gramm auf die Waage bringt. Darüber hinaus harmoniert die dunkle Metallic-Farbe des Titans sehr gut mit dem blauen Zifferblatt.
Das 2020 lancierte automatische Manufakturwerk Kaliber 400 verfügt über einen starken Schutz vor Magnetfeldern durch 30 antimagnetische Komponenten, eine Gangreserve von 5 Tagen dank zweier Federhäuser (unsere Testuhr blieb nach 5 Tagen und 9 Stunden stehen) und ein langes Serviceintervall von 10 Jahren. Letzteres spiegelt sich auch in der Sondergarantie wider, die Oris-Kunden von zwei auf 10 Jahre verlängern können, indem sie ihre Uhr auf der Website der Marke unter „MyOris“ registrieren. Der einzige Service, der während des ersten Jahrzehnts notwendig ist, ist eine Überprüfung der Wasserdichtigkeit durch einen Juwelier nach fünf Jahren.
Wir haben bereits früher über das moderne, leistungsstarke Kaliber 400 geschrieben und hatten nur eine Beanstandung: Beim Herausziehen der Krone in die Zeigerstellposition sprang der Minutenzeiger bei zwei zuvor getesteten Uhren 2 oder 3 Minuten vor. Dies war kein ernsthaftes Problem, da der Zeiger beim Zurückdrücken der Krone zuverlässig seine Position hielt, aber die Eigenart war deutlich spürbar. Diese Eigenart ist bei der ProPilot X nicht mehr vorhanden, da Oris die Geometrie der relevanten Bauteile verändert und zudem ein drittes Zeigerstellrad eingebaut hat.
Auch beim Gang ist Oris präzise. Im Schnitt muss eine Oris Uhr in den einzelnen Positionen zwischen -3 und +5 Sekunden laufen, um an einen Händler geschickt zu werden. Unsere elektronische Zeitwaage von Witschi bestätigte diese Genauigkeit. Unsere Testuhr lieferte zufriedenstellende Werte mit einem täglichen Vorlauf von 5 Sekunden und einer maximalen Abweichung von 8 Sekunden zwischen den einzelnen Positionen. Der mehrwöchige Test am Handgelenk offenbarte allerdings ein etwas ungleichmäßiges Gangverhalten. Je nach Gewohnheiten des Trägers und je nachdem, ob die Antriebsfeder straff gespannt war oder nicht, lag der tägliche Vorlauf der ProPilot an manchen Tagen zwischen 3 und 6 Sekunden, an anderen Tagen jedoch zwischen 10 und 15 Sekunden. Um den täglichen Vorlauf zu reduzieren, empfehlen wir, die Uhr in regelmäßigen Abständen komplett von Hand aufzuziehen, anstatt das 5-Tage-Automatikwerk teilweise auslaufen zu lassen. Ruhige Büroarbeit lieferte dem Rotor nicht genügend Bewegungsenergie; aber nach dem manuellen Aufziehen der Antriebsfeder lief das Werk genauso gut wie beim Gangtest, der nach den Regeln unseres Testregimes immer nach vollständigem Aufziehen der Antriebsfeder durchgeführt wird.
Unsere Testuhr wies zudem einige Eigenheiten auf, wie etwa eine Tendenz zum Vorgehen, wenn das Werk nicht vollständig aufgezogen ist. Eine weitere Eigenart ist, dass die ersten Glieder des Armbands nicht zu 100 Prozent mit dem Design des Bandes harmonieren. Stattdessen folgt auf ein erstes, in das Gehäuse integriertes Verbindungselement ein Zwischenglied und erst dann beginnt das attraktive dreireihige Design.
Beide Kritikpunkte sind zugegebenermaßen sehr gering, und ansonsten erfüllt diese Uhr alle Erwartungen und überrascht mit unerwarteten Fähigkeiten. Mit anderen Worten: Die ProPilot X Calibre 400 ist ein neues Modell, das Uhrenfans mit Freude entdecken werden.